Wörter des Jahres

Sächsisches Wort des Jahres 2011

Beliebtestes Wort

katschn

laut kauen oder schmatzen

Schönstes Wort

bomforzionös

großartig, aber etwas pompös

Bedrohtes Wort

Haderlump

Taugenichts bzw. Landstreicher in abgerissener Kleidung


Das »Sächsisches Wort des Jahres 2011«

Nun stehen die Gewinner fest: Aus mehr als 3.000 Wörtern hat die Jury des Wettbewerbs »Das sächsische Wort des Jahres 2011« die Gewinner ausgewählt und am Montag, den 3. Oktober 2011 während einer Festveranstaltung im Dresdner Schauspielhaus vorgestellt.

Die Kabarettisten und Schauspieler Tom Pauls und Uwe Steimle, der MDR-Moderator Andreas Berger sowie Sprachexperte und Autor Peter Ufer wählten aus den Einsendungen von Lesern und Zuschauern das bedrohte und das schönste sächsische Wort des Jahres aus. Das beliebteste Wort kürten die Sachsen per Abstimmung im Internet.

Das beliebteste Wort des Jahres 2011…

…heißt katschn oder gadschn, was mit »laut kauen oder schmatzend kauen« übersetzt werden kann. Der Kiefer klappt auf und zu und es entstehen Geräusche. Katschen ist die mundartliche abgeschliffene Variante von katschen. 28,5 Prozent aller Teilnehmer stimmten für das Wort. Auf Platz 2 landete Ränft (Brotkanten) und auf Platz 3 Dorheeme (Zuhause). Über 20.000 Sachsen nahmen an der Abstimmung im Internet teil.

Das schönste Wort des Jahres 2011…

…heißt bomforzionös, was mit großartig übersetzt werden kann. Die Sachsen übernahmen das Wort von den Franzosen, die während der napoleonischen Kriege hier hausten. Zudem brachten die französischen Hugenotten, die sich einst in Sachsen ansiedelten ihre Wörter mit. Bomforzionös ist eine mundartliche Abwandlung von bonne force, wörtlich übersetzt gute Kraft, sinngemäß stark, hervorragend, also großartig.

Das bedrohte Wort des Jahres 2011…

…heißt Haderlump, was so viel bedeutet wie Landstreicher. Seinen sprachlichen Ursprung findet der Hader im Althochdeutschen Hadara, dem Lappen oder Altsächsisch Hadilin, dem Lumpen. Und jener, der einst selbst in Lumpen ging, das war der Haderlump, genau genommen der Lumpenlump, also doppelt gemoppelt runtergekommen, aber auf seine Art schlau. Der Haderlump ist zum einen ein Landstreicher, ein zerlumpter, unehrenhafter, gesinnungsloser Mensch, aber zugleich ein gewitzter Schlingel, ein Schelm.


Weitere Ehrung

Neben der Ehrung der Wörter wurde der Leipziger Publizist Wolfgang U. Schütte für seine Verdienste um die sächsische Mundartdichterin Lene Voigt geehrt. Schütte gelang es, in den vergangenen Jahren den größten Teil der Texte der Schriftstellerin wieder zu entdecken, er gab das Gesamtwerk der Dichterin neu heraus und erforschte ihr Leben. Schütte machte Lene Voigt, deren Texte von den Nazis verboten und in der DDR unerwünscht waren, in den 1980er Jahren wieder salonfähig. Lene Voigt wurde vor 120 Jahren als Helene Wagner in Leipzig geboren.

Als Überraschungsgast kam ebenfalls ein Leipziger. Das Fernseh- und Radio-Urgestein Manfred Uhlig brillierte mit der Erklärung sächsischer Städtenamen und einem sächsischen Schnellkurs für Auswärtsche, also all jene, die die Sachsen erst noch kennen lernen müssen.

Dr. Peter Ufer


Bericht bei Dresden-Eins TV


Der Haderlumb kadschd bomforzionös –
Eine Kolumne von Dr. Peter Ufer

Zugegeben, es war schon ziemlich spät. Falsch! Es war früh am Morgen so gegen drei. Ich stolperte etwas desorientiert die Treppe nach oben, da sah ich meine Nachbarin mit einem Besen in der Hand neben meiner Wohnungstür stehen, und ich hörte sie sagen: »Na, Sie Haderlumb, kommse ooch schon heem.« Ich betrachtete ihren Besen und sagte: »Kehren Sie noch oder fliegen Sie schon.«

Da hatte ich den Hader. Sie rief: »Ich wär ihn midn Hader glei eene drüberziehn.« Das ging eindeutig zu weit. Aber es erklärte das Wort. Denn der Hader ist deutschlandweit der Ärger, der Streit, der Zwist. Nur in Sachsen bezeichnet die Vokabel zusätzlich ein Putzlappen, zu dem die Niedersachen Feudel, die Bayern Hubibeizler oder die Nordfriesen Wischmopp sagen. Wobei diese Begriffe der zeitgenössische Mensch längst aus seinem Computerhirn gelöscht hat. Denn der Scheuerlappen ist als Gebrauchsgegenstand in den meisten Haushalten ausgestorben. Heute säubert ein Twist-System-Set mit Leichtigkeit und Megaduftfunktion den Boden oder ein Robbie saugt sich übers Parkett. Da hat der Hader keine Chance mehr.

Karikatur von Uwe Krumbiegel

Das Wort findet seinen sprachlichen Ursprung im Althochdeutschen Hadara, dem Lappen oder altsächsisch Hadilin, dem Lumpen. Und jener, der einst selbst in Lumpen ging und sie sammelte, das war der Haderlump, genau genommen also der Lumpenlump. Wobei nicht jeder mit dem Nachnamen Hader, so wie der Schauspieler und Autor Josef Hader, ein Lump sein muss. Der Haderlump ist zwar ein Landstreicher, ein unehrenhafter, gesinnungsloser Mensch, aber zugleich ein gewitzter Schlingel, ein Schelm. Es war Martin Luther, der das Wort aus dem Ostmittelhochdeutschen aufnahm und in die Hochsprache einführte. Der Hader ist möglicherweise durch eine Lautverschiebung zum Hass geworden. Heute klingt der Gebrauch nur noch altertümlich, der Hader ist zum Archaismus geworden, der Hass dagegen grassiert weiter.

Meine Nachbarin fragte mich, ob denn mein Nachtausflug wenigstens schön gewesen sei. Ich schwieg, sie meinte, dass sie früher gerne zum Schwof gegangen wäre und das sei immer und jedes Mal »bomforzionös« gewesen. Großartig dieses Wort, es spricht sich sächsisch so schön und ist doch Französisch. Bomforzionös benutzt der Sachse im Moment höchster Verzückung. Es heißt: Großartig. Die Sachsen übernahmen das Wort von den Franzosen, die während der napoleonischen Kriege hier hausten. Zudem brachten die französischen Hugenotten, die sich einst hier ansiedelten, ihre Wörter mit.

Bomforzionös gehört dazu und ist eine mundartliche Abwandlung vom Französischen bonne force, wörtlich übersetzt gute Kraft, sinngemäß übersetzt stark, hervorragend, großartig, also so wie die Sachsen sind, es aber niemals auf dem Markt der Eitelkeiten ausleben würden. Der Sachse übernahm von den Franzosen übrigens rund 300 Vokabeln, bomforzionös ist das höchste Lob, das man hier aussprechen kann, wenn man es aussprechen kann. Findet der Sachse sonst etwas ganz nett, so sagt er: »Kannste machn.« Wird etwas zum Erlebnis, sagt er: »Das war ni schlecht.« Wenn er es außergewöhnlich findet, dann sagt er: »Das war ma was andres.« Aber das ist noch lang nicht bomforzionös.

Meine sah mit etwas mitleidig an, und wollte erneut wissen, wie es denn nun bei mir gewesen wäre. Ich verweigerte die Aussage, nahm aus meiner Tasche eine Kaugummi, packte ihn aus, steckte ihn in den Mund, begann zu kauen und genoß den frischen Atem. »Nee, nuh kadschdn se ooch noch rum«, beschwerte sich meine Nachbarin. Ich nickte, denn kadschn kann man Kadschor. Auf gut Deutsch: Kauen kann man Kaugummi. Nicht zu verwechseln mit dem Ratschor. Der ist ein Radiergummi, den man nur zur Not auch kadschd, wenn mor kee Kadschor had. Wenn die Zähne es zulassen.

Kadschn ist nicht nur ein Wort, sondern vor allem eine Bewegung des Unterkiefers im Wettbewerb mit dem Oberkiefer, um Speisen zwischen den Zähnen zu zermalmen. Übersetzt ins Hochdeutsche heißt es: Laut oder schmatzend essen. Der Kiefer klappt auf, klappt zu, dreht sich hin und her, die Kauleisten arbeiten hart und es entstehen mehr oder weniger schmackhafte Geräusche. Insbesondere Kinder müssen sich von ihren Eltern in solch einem Verfall von Tischsitten gefallen lassen, dass ihnen zugerufen wird: »Kadsch ni so!« Die Verwarnung gilt ebenso, wenn die Jüngsten auf Bleistiften, Füllfederhaltern oder an ihren Fingernägeln herumkadschn. Im hohen Alter kehrt übrigens die infantile Form der Essenszerkleinerung zurück, wird aber überwiegend als senile Marotte toleriert, ähnlich wie das Schlürfen.

Kadschn ist die mundartlich abgeschliffene Variante von kauen. Das Kauen stammt ursprünglich vom Mittelhochdeutschen kiuwen ab und ist noch heute bei Kühen zu hören, wenn sie wiederkäuen. Es ist auch gelegentlich bei Menschen zu vernehmen, wenn sie zum hundertsten Mal sagen, was keiner mehr hören kann. Dann wird eine Sache ewig durchgekadschd. So sieht sie am Ende auch aus. Da ich das Gefühl hatte, dass meine Nachbarin und ich mit unserem Gespräch genau bei diesem Stadium angelangt waren, verabschiedete ich mich und ging ins Bett.