Beliebtestes Wort
didschen
Lebensmittel in Flüssigkeit eintunken
Schönstes Wort
plumbn
Wasser pumpen, heftiger Starkregen, schnell und viel trinken
Bedrohtes Wort
Renfdl
Brotkanten
Jetzt ist es amtlich: Das beliebteste, das am bedrohtesten und das schönste sächsische Wort 2012 heißen »Didschn«, »Renfdl« und »Plumbn«. Das wurde am 3. Oktober zur traditionellen sächsischen Wort-Gala der Ilse-Bähnert-Stiftung im ausverkauften Schauspielhaus verkündet.
Über das Lieblingswort hatten bereits im Vorfeld über 20.000 Sachsen im Internet abgestimmt. »Plämpe« und »Hitsche« belegten dabei die Plätze 2 und 3. Die Worte »Plumbn« und »Renfdl« wurden indes von einer Jury gekürt, der Initiator und Autor Peter Ufer, Moderator Andreas Berger sowie die Schauspieler und Kabarettisten Uwe Steimle und Tom Pauls angehörten. Auf der fünften Veranstaltung dieser Art gewannen bisher so einzigartige Worte wie fischeland, bäbbeln, la wede, nu, Hornzsche, dschidscheriengrien, färdsch, katschn oder bomforzionös.
Die Veranstaltung – am Tag der Deutschen Einheit kürten die Sachsen in Dresden ihre Wörter des Jahres
Wortreich feierten die Sachsen am 3. Oktober 2012 ihre Sprache. Es ist die Gegenveranstaltung zu all jenen Umfragen, die Sächsisch jährlich als unbeliebteste Mundart degradieren. Im ausverkauften Dresdner Schauspielhaus fühlten sich das Publikum und die sächsischen Wörter des Jahres ausgezeichnet.
Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle hielt die Laudatio auf das bedrohte Wort. Es heißt: Renfdl, der Brotkanten. Das schönste Wort des Jahres ehrte Ilse Bähnert, alias Tom Pauls, es heißt plumbn, heftig regnen oder etwas pumpen.
Direkt von der Aufzeichnung des Deutschen Fernsehpreises in Köln kam Olaf Schubert zu der Sachsen-Gala, um die SMS-Verkürzung der Sprache zu geißeln. Ohne Internet geht gar nichts mehr, aber man braucht es nicht. Was man dann macht? Am besten, wir googeln das mal, schlug der Wortakrobat vor. Musikalisch in Stimmung brachte Sebastian Krumbiegel die Sachsen. Mit dem Prinzen-Musiker sang das versammelte Publikum.
Das sächsische Wort des Jahres wird von der Ilse-Bähnert-Stiftung, der Sächsischen Zeitung und MDR 1 Radio Sachsen bereits zum fünften Mal vergeben. Seit Anfang des Jahres hatten die Sachsen über 3.000 ihrer Wortfavoriten an die Jury geschickt. Am Abend fand ein Nachschlag für das Sachsen-Wort im Tom Pauls Theater statt.
Text: Sächsische Zeitung
Das »Sächsisches Wort des Jahres 2012«
Das bedrohte Wort: Renfdl
Ein Renfdl is das, was ni mehr dran is am Brot, wenn morr vom Bäcker nachheeme kommt. Meistens biss ich noch im Laden den Kanten ab. Nun hatte mein Vier-Pfünder einen Schandfleck, besser Schandbiss. Das konnte unmöglich so bleiben. Wie sah denn das aus? Zorrrubbd, einfach furschdbar.
Also biss ich noch einmal hinein, nun auf der anderen Seite. Jetzt stimmte zwar des Brotes Symmetrie, doch meine Mutter schrie: »Dschunge, du bekommst wo Daheeme ni genuch zu essen, musst du denn schon off dor Straße badschn.« Ich sagte: »Muddi, ich hadde Abbedied und wollt doch nur, dass du´s ni merkst.« Mutti: »Nu, es hat eben alles seine Ursachn.«
Dabei nahm sie das Küchenmesser, wetzte es an der Sandsteinstufe, hielt sich das Brot vor die Brust und schnitt es auf, in lauter kleine Renfdl. Das Wort kennen viele schon nicht mehr, aber ä Renfdl is bei uns immer da.
Text: Uwe Steimle
Das schönste Wort: Plumbn
Das Wort, ist im Sinne des Begriffes »Schön« eher hässlich. Aber da es das hässlichste sächsische Wort zum Glück nicht gibt, ist es wieder schön. Schön ist ja alles, was man mit Liebe betrachtet. Das Wort spiegelt den Zeitgeist des Jahres wider.
Das fängt schon mit dem Wetter an. Wir hatten einen langen Winter, danach immer wieder Regen, es goss aus Kannen, hörte nie off, du warst klitschenass oder durch. Denn es regnete nicht, sondern es plumbte. Dann die große Hitze im Sommer, immer musste man was trinken, der Durst war groß, dass man alles in sich hinein goss. Man trank nicht, sondern man plumbte.
Plumbn kommt nicht von plump, sondern Pump oder Pumpe, also sächsisch Plumbe. Da kommt alles im Schwall, wie beim Euro, denn da plumbn die off Pump Geld irgendwohin. Ja ham die denn ihrn Forstand forplumbd?
Text: Tom Pauls
Das beliebteste Wort: Didschn
Didschn ist nicht nur ä Duhword, sondern vor allem eine sächsische Weltanschauung. Es hilft, die harten Zeiten aufzuweichen. In Sachsen wird bei jeder sich passenden oder unpassenden Gelegenheit in jede sich bietende Flüssigkeit alles eingetaucht, versenkt, getunkt, eingeweechd, neingemehrt, nundorgedriggd, bis es labbrisch feucht und bissbabsch trieft, um es dann schlürfend zu vertilgen.
Der Sachse geht mit allem auf den Grund der Sache, um auch die härtesten Probleme zu ergründen. So gelang es ihm 1989, ein ganzes System aufzuweichen. Gedidschd werden kann alles, ideal sind Semmeln, Bäbe, Bemm und Stolln. Als besonders didschfreundlich erweist sich Kaffee. Didschn heißt aber auch, einen Stein über einen Fluss hüpfen lassen oder jemanden ducken. Manchmal ist Didsch-Zeit, denn auch ein Sachse kann nicht alles schlucken.
Text: Dr. Peter Ufer
Im Regen kann man Renfdl gut dischn –
Eine Kolumne von Dr. Peter Ufer
Meine Nachbarin rief: »Komm se schnell, aber hurdisch, dä Weld gehd undor.« In solch einem Fall kann ich nicht abseits stehen, sondern muss helfen. »Was ist denn passiert«, wollte ich wissen. „Nu guggnse ma naus, es dreschd ja wie Schusderjung, es blumbd wie zur Sindflud.“ Ich sagte: »Die Sintflut kommt doch erst nach uns.« Sie sagte: »Sie irren sich, sie irren sich, sie is schon da, denn wir sind die Sindflud.«
Von einer göttlich veranlassten Flutkatastrophe fühlte ich mich weit entfernt, aber tatsächlich ging draußen ein gewaltiger Guss nieder. Meine Nachbarin erklärte mir, dass sich sich seit Langem mit meteorologischen Phänomen beschäftige und sie erforscht hätte, dass es verschiedene Stufen des Regnens geben würde. Und deshalb sei klar, dass das, was jetzt vom Himmel falle, nicht normal sei.
Normalerweise beginne es nämlich mit dröbbeln, also tröpfeln, es folge das Nieseln, etwas stärker sei das Bladdern. Eine weitere Steigerungsform nenne sich Drehschen oder Dräuschen. Dann falle ein heftiger Guss herab. Ich ergänzte ihre Schauervariationen: »Wenn ein Niederschlag dauerhaft die Landschaft einnässt, so wird gern davon gesprochen, dass es Bindfäden regnet. Und wenn es draußen eisig wird, dann gibt es einen Graupelschauer, wobei der Graupel im Englsichen graubel heißt.« »Ni zu gloobn«, sagte meine Nachbarin und fügte hinzu: »Wenns aus Eimern gießd, aus Kübeln schüdded, ä Gewidder dä Weld erschüdderd, dann blumpds. So wie jädzd.«
Das Wort ist wie das Wetter nicht besonders schön, sondern blitzgefährlich. »Überhaubd«, sagte meine Nachbarin, »überhaubd is das Wetter ja längst ni mehr wie früher, sondern immer kadasdrobhal.« Ich stimmte ihr zu. Denn es herrscht heutzutage entweder Winterchaos oder Sommermisere, Schneefiasko, Flutdesaster oder eine Trockentragödie, die Sachsen ertrinken oder große Hitze steigert den Durst der Pflanzen und der Menschen so sehr, dass sie alles in sich hinein gießen. Dann trinken sie nicht, sondern blumbd, sie schütten Getränke ins sich hinein, füllen sich die Därme, um der Dürre zu entgehen.
Blumbn kommt von Pumpe, sächsisch Plumbe, die Vorrichtung, mit der man Wasser an die Oberfläche saugen kann. Und wenn es einmal blumbd, dann heftig, es kommt im Schwall so wie bei einem gewaltigen Guss.
»Im Übrigen«, sagte meine Nachbarin, »könnse mid genuch Feuchtigkeed ooch Didschn.« Didschn gehört zu den beliebtesten Wörtern der Sachsen, es ist ein Duhwort, wie es im Duhden steht, aber zugleich ein aktives Verhalten. Es hilft, die harten Zeiten aufzuweichen, mit diesem Wort kann man sich auch noch im hohen Alter durchbeißen, es zerbröselt alles, was wir schlucken sollen. »Hamse denn ma ne rischdesche Definidion für das Word«, fragte mich meine Nachbarin.
»Ja, sagte ich. Dischn ist die Möglichkeit, einem zum Verzehr bestimmten harten Gegenstand mit Hilfe einer Flüssigkeit so aufzuweichen, dass der geringe Druck des Gaumens auf das zu dischende Teil genügt, um es vom ungedidschten Teil des zum Verzehr bestimmten harten Teils des zum Verzehr bestimmten Gegenstandes zu trennen. Dieser Vorgang kann so lange wiederholt werden, bis der zum Verzehr bestimmte harte Gegenstand aufgebraucht ist.«
In Sachsen wird bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in jede sich bietende Flüssigkeit alles eingetaucht, forsenkt, getunkt, gestippt, eingeweecht, neingemehrt, nundorgerdrickd bis es labbrisch feucht und biss-babbsch trieft, um es dann schlürfend zu fordilgn. So gehen die Sachsen mit allem in medias res, auf den Grund der Sache, in die Tiefe, ins Tal der Ahnungen und ergründen auch die härtesten Probleme.
So gelang es dem Sachsen schon 1989 ein ganzes System aufzuweichen. Merke: Gedidschd werden kann alles. Im Grunde gibt es nichts, was nicht gedidschd wird. Ideale Didschobjekte sind Semmeln, Bäbe, Bemm, Sandtaler, Obladen, Pfefferkuchen, Kekse, Waffeln und natürlich Streuselkuchen.
Als besonders didschfreundlich erweist sich Kaffee, wobei dor fischelante Sachse vorzugsweise seine zweite Tasse Kaffee zum Dischn nimmt, denn sonst schwimmen ja bereits in der ersten Tasse, die er gerne austrinken möchte, die zu lange gedidschn Didsch-Überreste.
»Besonders gudd didschn lassn sich ja Renfdl«, sagte meine Nachbarin. »Obwohl ä Renfdl ja das is, was ni mehr dran is am Brot, wenn mor vom Bäcker nachheeme kommd.« Das geht mir genauso, meistens breche oder beiße ich noch im Laden den duftenden Kanten ab. Dann hat mein Vier-Pfünder einen Schandfleck, besser Schandbiss.
»Se zorrubbn das Brod im Laden?«, fragte meine Nachbarin. Meistens beiße ich gleich noch einmal hinein, nun auf der anderen Seite. Dann stimmt die Brot-Symmetrie wieder, aber zu Hause gab es so schön Ärger als ich noch Kind war. Dann rief meine Tante: »Dschunge, du bekommst wo Daheeme ni genuch zu essen, mussd du denn schon off dor Schdraße badschn.« Dabei nahm sie das Küchenmesser, wetzte es an der Sandsteinstufe, hielt sich das Brot vor die Brust und schnitt es auf, in lauter kleine Renfdl.
Meine Nachbarin sah aus dem Fenster. Draußen hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Manchmal reicht es schon, zu miteinander reden, um die Welt vor dem Untergang zu retten.