Beliebtestes Wort
Nieselbriem
ein einfältiger, unbeholfener oder auch etwas mürrisch daherkommender Mensch
Schönstes Wort
Schnudndeggl
auf Hochdeutsch »Mund-Nase-Schutz« oder »Maske«
Bedrohtes Wort
dambern
sich ohne Ziel und Zweck beschäftigen und rumtrödeln
Das »Sächsische Wort des Jahres 2020«
Nieslbriem mit Schnudndeckl
Die Sachsen haben über ihre Wörter des Jahres 2020 entschieden. Über 3.000 Wörter wurden insgesamt in diesem Jahr bei der Jury eingereicht und am 3. Oktober 2020 während einer Doppelvorstellung im Tom Pauls Theater gekürt. Gleichzeitig wurde ein »Sachse des Jahres« ausgezeichnet. Die Ehrung nahm der frühere Sportdirektor von Dynamo Dresden, Ralf Minge, sichtlich gerührt entgegen.
Das sächsische Wort des Jahres wird seit 2008 gekürt. Diese Auszeichnung wurde von der Ilse-Bähnert-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Zeitung und MDR-Sachsen ins Leben gerufen, die die Auswahl mit einer Fachjury trifft, zu der unter anderem der Schauspieler Tom Pauls gehört. Zielsetzung dieser Wahl ist es, aussterbende sächsische Wörter zu retten, die Sprache der Sachsen zu pflegen, ihren Wohlklang in das Bewusstsein gebracht und die Mundart als wichtiger Teil der deutschen Sprache gefördert.
Das schönste Wort: der »Schnudndeggl«
Der »Schnudndeggl«, auf Hochdeutsch »Mund-Nase-Schutz« oder »Maske«, wurde von den Sachsen zum schönsten Wort des Jahres 2020 gewählt. In die gleiche Richtung geht auch die in diesem Jahr zum ersten Mal gesuchte Kategorie, der Gemütszustand.
Die Jury war auf der Suche nach sächsischen Gemütswörtern, die umschreiben, wie der Sachse sich fühlt. Denn auch dafür gibt es ein großartiges, unverwechselbares Vokabular. Mit »Schnudndeggl« und Corona-Pandemie fühlt sich der Sachse »gägsch«, also kränklich, blass und ungesund oder auch weinerlich.
»Dambern« und »Nieslbriem«
Nach Meinung der Sachsen gerät das »Dambern«, also sich ohne Ziel und Zweck beschäftigen und rumtrödeln zunehmend in Vergessenheit. Der Ausdruck wurde zum bedrohtesten Wort des Jahres gewählt. Besonders gefallen hat den Sachsen entgegen seiner Natur der »Nieslbriem«. Die Bezeichnung für einen einfältigen, unbeholfenen oder auch etwas mürrisch daherkommender Menschen ist das sächsische Lieblingswort.
Der Sachse des Jahres 2020
Ralf Minge bekam kurz vor seinem 60.Geburtstag ein von der Ilse-Bähnert-Stiftung ein ganz besonderes Geschenk.
Von Peter Ufer
Ohne einen Lacher geht das hier nicht ab. So erzählt Ilse Bähnert am 3. Oktober zur Kür der »Sächsischen Wörter des Jahres 2020« auf der Bühne im Tom Pauls Theater eine kurze Geschichte: Als sie vergangenen Donnerstag in ihrem Einkaufsladen gewesen sei, habe vor ihr ein junger Herr gestanden. »Der zog seine Schdernburgbulln über die Lambe und es had bieb gemachd«, sagt sie. Dann habe die Kassiererin den Kunden gefragt, ob er Punkte sammle und da habe der geantwortet: »Nee, ich bin doch Dynamofan.«
Natürlich ist das gemein und mit den Fans nicht zu spaßen, das weiß auch die lustige Witwe aus Sachsen. Aber sie musste irgendwie einen heiteren Treffer landen, um einen Sportsfreund nach vorn auf die Bühne zitieren zu können. Der sei ein Typ, ein Urgestein, eine legendäre Gestalt, ein Sachse durch und durch, der so viel für die Mannschaft geleistet habe. Deshalb würde er zu seinem 60. Geburtstag einen Dank verdienen. »Komm se ma zu mir, mei Gudr«, sagt Ilse Bähnert. Und dann kommt Ralf Minge nach vorn auf die Bühne. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit er und der Dresdner Fußballverein sich im vergangenen Juni trennten.
Minge lacht, weil er die 80-Jährige überragt wie ein langer Kerl die Königin. Die Bähnerten meint, sie sei in den vergangenen Jahren geschrumpft, sie wachse ihrem Grab entgegen, aber er sei ja voll im Saft und in den besten Jahren. »Stimmt«, meint der Jubilar bestens gelaunt. Er fühle sich gut. Geborgen wurde er am 8. Oktober 1960 in Elsterwerda. Sein Geburtsort lag damals im Bezirk Cottbus, heute in Brandenburg, Elbe-Elster-Kreis, Autokennzeichen EE. Aber das Urstromtal gehört historisch betrachtet zu Sachsen. Erst nach der Teilung des Landes im Jahr 1815 fiel das Stück an die preußische Provinz Sachsen. Das schmerzt bis heute. Das muss hier mal geschrieben werden, schließlich zeichnet Ilse Bähnert den »Sachsen des Jahres« aus und da muss die Herkunft stimmen.
Ilse Bähnert will wissen, ob er als Herr der Bälle das vergangene Dynamospiel gegen Bayern II verfolgt habe. Da meint er, dass er sich noch in einer Phase befinde, wo er Abstand gewinnen möchte und zurzeit nur die Ergebnisse zur Kenntnis nehme. Dann sagt er: »Der Saisonstart hat sich wirklich gut angelassen, zumal sich die Rahmenbedingungen überhaupt nicht mit 2014 vergleichen lassen. Wir haben ein neues Trainingszentrum, wir haben etwas Geld auf der hohen Kante, insofern kann das Ziel nur der Wiederaufstieg sein. Und die Niederlage gegen die Bayern war nur mal ein kleiner Dämpfer, vielleicht zur rechten Zeit.« Wie Ralf Minge so spricht spürt jede und jeder im Publikum, sein Herz schlägt nach wie vor für diese, für seine Mannschaft.
Das Gespräch läuft weiter, denn die Bähnerten erklärt, sie habe von ihrer Freundin, der Trudel aus Hetzdorf gehört, er habe sich eine Auszeit genommen und sei auf dem Jakobsweg wandern gewesen. »Ich würde ja ooch gern ma off den Jakobsweg, da solls ja überall dä Krönung geben«, sagt Ilse. Minge amüsiert sich köstlich über den Witz und sagt dann ernsthaft: »Für mich war das eine sehr kluge Entscheidung, bei der ich von meiner Frau inspiriert wurde.« Wo er lang gewandert sei, will die Sächsin wissen. »Ich bin von Porto nach Santiago, weiter nach Finisterre und Murcia. Das waren gut 400 Kilometer.« Er habe bis auf einen Anruf am Tag nicht gesprochen. Das sei eine gute Möglichkeit der Verarbeitung der Vergangenheit gewesen, um mit Wunden zurecht zu kommen, wo nur schnell ein Pflaster darüber geklebt worden sei. »Ich habe gehofft, das irgendein Geistesblitz auf dem Weg kommt, der mit sagt, das ist Deine Zukunft, Deine Vision, aber das war nicht der Fall«, sagt Ralf Minge. Am Anfang sei er wie ein Leistungssportler im Wettkampf losgerannt, um auf dem Weg zu begreifen, dass es gar nicht um den Sieg gehe. »Nach vier Tagen habe ich die Uhr vom Handgelenk abgemacht und wenn ich müde war, legte ich eine Pause ein. Das war eine wichtige Erkenntnis für mich.« Im Übrigen würden auf dem Weg alle in eine Richtung laufen, nur ganz selten komme einer entgegen. Damit sei nicht nur der Abstand gewährleistet, sondern auch das gemeinsame Ziel klar.
Ilse Bähnert ließ nicht locker, wollte unbedingt wissen, wie die Zukunft von Ralf Minge aussehen würde, ob er sich in einer »Findungsphase« befinde. Vor allem mache sie sich um seine finanzielle Situation Sorgen und würde ihn auch mal zum Essen einladen, wenns denn schlimm um ihn stehen würde. Der Ex-Dynamo bedankte sich für die Nachfrage und meinte, so lange seine Frau Arbeit habe, sei es gut um ihn bestellt. »In meinem Berufsleben war es immer so, dass ich eine Lösung gefunden habe. Ich greife nicht gierig nach dem Glück, sondern strecke die Hand aus in der Hoffnung, es setzt sich irgendwann drauf«, sagt er. Ilse kommentiert das mit ihrer Lebenserfahrung: »Wo sich Türen schließen, öffnen sich Tore.« Da sind beide plötzlich wieder beim Fußball, denn am Ende dreht sich doch alles darum.
Ilse Bähnert erklärt, er solle am Ball des Lebens bleiben, er sei eine großartige Person, vor allem auf den Boden und menschlich geblieben. Er verstehe seine Landsleute, die Fans und die andern. Deshalb werde er von ihrer Stiftung geehrt und zum »Sachsen des Jahres« gekürt. »Den Preis ham mir uns vom Munde abgespard, mei Gudr.« Sie überreiche einen »Präsentkorb«, den der Backwarenhersteller Dr. Quendt zur Verfügung gestellt habe. »Wir dankn Ihn in Namn dor Sachsen für ihre geleisdede Arbeed. Glückwunsch und doi, doi, doi.«
Ralf Minge nimmt den Preis sichtlich gerührt entgegen. Das Publikum applaudiert.