Beliebtestes Wort
nu
als Lückenfüller oder Synonym für »ja«
Schönstes Wort
muddln
vor sich hin arbeiten, sein Ding machen, etwas ziel- und lustlos bei der Sache sein
Bedrohtes Wort
lawede
instabil, ausgeleiert, marode
Sächsisches Wörter des Jahres –
Eine Kolumne von Dr. Peter Ufer
Als ich kürzlich meine Nachbarin und ihren Mann in ihrem Kleingarten besuchte, wusch sie ab, kochte, kehrte, sortierte Zwiebeln und schälte von irgendeinem Gemüse die Schale ab. Ihr Mann dagegen hockte vor einem Stuhl, betrachtete das Möbel, wackelte daran, legte wieder Hand an, staunte, schraubte, wackelte erneut, noch mal und noch mal, dann holte er Leim, später Farbe, aber malte nicht, sondern betrachtete das gute Stück wieder und wieder, als würde es sich um eine archäologische Entdeckung handeln.
Ich fragte meine Nachbarin, was er da eigentlich treiben würde und sie sagte: »Der muddeld vor sich hin.« Der Satz gehörte zu einer meiner schönsten linguistischen Erfahrungen und ich begriff, dass Muddln in Theorie und Praxis typisch sächsisch sein muss. Denn wer muddeld, der weiß genau, was er tut, auch wenn er nur so tut, als ob er etwas tut. In diesem Fall der verlangsamten Bewegung verrichtet ihr Mann eine Arbeit, aber weder zielstrebig noch mit einem spürbaren Verbrauch an Energie. Er machte ganz aktiv nichts.
Meine Nachbarin rief ihm ab und an zu, er möge doch endlich mal fertig werden und ich begriff: Wer muddeld kann jene, die meinen, niemals zu trödeln, zum Wahnsinn treiben. Denn an sich ist gegen das scheinbare Beschäftigtsein nichts einzuwenden, aber es kann zum einen stundenlang andauern und zum anderen führt es nur in den seltensten Fällen zu einem Ergebnis. Diese vorgetäuschte Emsigkeit wirkt wie Meditation und ihr Mann sagte gern den gut gemeinten Satz: Mir wärn schon machn, dass nischd wird.
Er erklärte mir, dass seine Frau nicht begreifen würde, dass es notwenig sei, sich gleichsam von der Zeit abzukoppeln, auszusteigen aus dem Weltengetriebe, um es zu verstehen. Er sei dann nicht weg, aber auch nicht hier. Er wäre einfach bei sich. Scheinbar steht das im Widerspruch zum Fleiß und dem Erfindungsreichtum der Sachsen, aber wer das denkt, der kennt ihn nicht. Denn muddeln ist die Fähigkeit, unangenehme Zeiträume mit erfindungsreicher Anpassungsgabe unbeschadet zu überstehen. Und dies sowohl in der Familie, als auch bei gesellschaftlichem Unwohlsein. Muddln ist, bewusst eingesetzt, passiver Widerstand, um groben Unfug zu vermeiden.
Doch der Stuhl wackelte weiter vor sich hin. Ich fragte den Muddler, was denn mit dem Möbel los sei. Er antwortete: Das is lawede. Ich begriff nicht, was er meinte, denn bei dem Wort lawede handelt es sich um eine veraltete, vornehme Bezeichnung für matt, müde, kränklich, kaputt. Der Mann erklärte mir, dass dem Stuhl oder auch einem Menschen irgendwie komisch zumute wäre, er fühle sich verloren, aber es sei noch nicht alles verloren. So wie bei der Welt um uns herum. Das Ding is lawede wie ein wackelige Stuhl. Irgendwie kippelt es. Die Vokabel kommt ursprünglich von den Franzosen, die das Spiel La bete (Das Tier) spielten. Und wer keinen Stich sah, der hatte verloren.
Das Wort sagt allerdings kaum noch einer, es ist genauso bedroht wie es klingt. Lawede hat sich im Lauf seines mündlichen Gebrauchs abgeschubberd wie ein oller Gartenstuhl. Als das Wort neu war, hieß es leiwände, was wiederum eine Form von laiwendisch oder leibelösig war. Hätte sich die Vokabel bis heute in seiner mittelalterlichen Schriftsprache erhalten, müssten wir jetzt leibwendig sagen, was so viel bedeutet wie mit schwachem Leib oder vom Leib abgewandt oder eben leblos. Bei dem kaputten Stuhl wäre es dann alternativ leimlos. Die Steigerung zu lawede ist übrigens malad, also krank, was ebenfalls aus dem Französischen kommt und auf eine ernsthafte Erkrankung hinweist. August der Starke litt beispielsweise am Porzellanfieber, der Maladie de porcelain. Ergebnis war das Meissener. Das ist aber nicht lawede.
»Bekommen Sie denn den Stuhl wieder ganz«, wollte ich von dem Mann meiner Nachbarin wissen. Er sagte nicht viel dazu, sondern nur: »Nu!« Immer wieder hörte ich das kleine Wörtchen nu in der Kleingartensparte, denn es steht symbolisch für die Dresden-Sachsen wie für die Thüringer das »Ge« und die Schweizer das »Oder«. Der Dresdner gebraucht das Nu zuerst, um sein Einverständnis zu erklären und viele, die ihn nicht kennen meinen, er meine Nein. Aber sein Nu, erst recht wenn er nickt, kann als Ja gedeutet werden.
Nu beruht auf den sprachlichen Ursprüngen des Landes, nämlich dem Slawischen. Noch heute sagen unsere Nachbarn in Tschechien ano für ja, sie verkürzen aber meist auf no. Beim Dresdner heißt: Nu. Im Übrigen ist das nur im sächsischen Elbtal so. An der Pleiße in Leipzig sagt das kein Mensch und im Vogtland schon gar nicht. Nu wird aber nicht nur als ja benutzt, sondern zugleich als nun und jetzt. Nuh gugge ma da – jetzt sieh dir das an! Und wenn mal gar kein Gespräch zustande kommt, langt ein einfaches Nu, Nu – und jeder Sachse weiß, was gemeint ist.
Ein Nu passt zu jeder Lebenslage, sogar beim Sterben kann man es getrost sagen: Issor dod? Nu! Nuh kommd dor indn säggschn Himmel. Dieses Wort trugen die Sachsen übrigens in alle Welt. Denn die Engländer sagen zu jetzt now und die Schweden wie die Sachsen: Nu. So sind die Dresdner, den ja gelegentlich vorgeworfen wird, sie seien provinziell, imnuh ganz international.
Ich fragte den Nachbarinnenmann, ob sein Nu heißt, dass der Stuhl bald wieder ganz wäre. Und er sagte: »Nu, nu. Aber Sie müssn wissn, dass der Sachse nicht immer sagt, was er meint, aber immer meint, was er sagt.«