Wörter des Jahres

Sächsisches Wort des Jahres 2023

Wort des Jahres 2023

budzsch

Schlussapplaus im Boulevard-Theater, Foto: Dr. Peter Ufer

Das »Sächsische Wort des Jahres 2023« –
Vieles ist so budzsch

Das Sächsische Wort des Jahres 2023 heißt: budzsch.
Das sächsische Wort fasst zusammen, wozu im Deutschen mehrere Adjektive notwendig wären.

Budzsch beschreibt ein wunderliches, merkwürdiges oder auch sonderbares Gefühl. Menschen kann etwas budzsch vorkommen, was meint, dass eine Situation irgendwie komisch, bedenklich, besorgniserregend oder beruhigend sein kann. Personen, Gegenstände, Zeiten und Gefühle können ausgesprochen budzsch sein. 

Gekürt wurde die Vokabel zur Sachsen-Gala am 3. Oktober im ausverkauften Boulevard-Theater in Dresden. Das Zwinger-Trio, die Bands Medlz und die Salondamen sowie der Schauspieler Thomas Kaufmann feierten mit Musik und viel Humor die Sachsen-Vokabel 2023. Über 2.000 Wortvorschläge kamen in diesem Jahr bei der Jury an, der der Schauspieler Tom Pauls, Theaterleiterin Kerstin Kochan MDR-Moderator Andreas Berger, SZ-Autor Peter Ufer und der Leipziger Kulturmanager Frank Berger angehören.

Die Aktion zur Kür des Sächsischen Wort des Jahres ist eine Aktion von MDR-Sachsen, der Sächsischen Zeitung und der Ilse-Bähnert-Stiftung. Seit 2008 zeichneten die Initiatoren 50 sächsische Wörter aus. Zielsetzung der Wahl ist laut Stiftung, aussterbende sächsische Wörter zu retten, die Sprache der Sachsen zu pflegen, ihre Sprachkultur im Bewusstsein zu halten und die Mundart als wichtiger Teil der deutschen Sprache zu fördern. Am 16. Oktober erscheint der erste sächsische Dialekt-Duden mit Kolumnen zur Lautform, Herkunft und dem aktuellen Gebrauch der Mundart. Darin ist ebenso eine Wortsammlung jener Vokabeln, die seit 2008 an die Jury gesendet worden.

Sächsische Zeitung


Bühne mit Mitwirkenden im Boulevard-Theater, Foto: Dr. Peter Ufer

Laudatio auf budzsch von Dr. Peter Ufer

Wir feiern heute, am Tag der deutschen Einheit, das Sächsische. Und allein das ist schon bemerkenswert. Denn die sächsische Regierung schafft es im kommenden Jahr nicht mal mehr, einen »Tag der Sachsen« zu organisieren. Das ist schon sonderbar.

Dabei ist Sächsisch einmalig. Es ist der einzige Dialekt, der zweifelsfrei als ostdeutsch identifiziert werden kann. Ja, das ist erstaunlich. Wer sächselt, der ist unverwechselbar als Neufünfländer zu erkennen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Und Alleinstellungsmerkmale sind auffällig, so wie eine Piratenklappe beim Kanzler oder eine Schnabelbrustschildkröte – eine aussterbende Art und besorgniserregend.

Wir betreiben alle zusammen herdserweechnd Mundartenschutz. Wir retten Wörter. Zum Beispiel Bibbus, Schmieche, Beschmuh, Schnudndeggl, Dunsl und Därre. Gerettet wurden auch Asch, Haderlumb, Mäffdl, Nieslbriem oder schooflich.

Sächsisch klingt nach Heimat und ist selbst in fernen Ländern gut zu hören. Die Heimatverbliebenen haben so ihre Eigenheiten, die nicht jedem passen. Manchmal wirken sie etwas wunderlich. Genau wie die Sprache, die ist eigentümlich. Aber genau das zeichnet ja eine Mundart aus. Sächsisch soll angeblich der unbeliebteste deutsche Dialekt sein. Das sagen Umfragen. Manche Deutsche meinen sogar, Sächsisch sei das, was beim Scrabbeln übrig bleibt. Nu, nu – nee, nee! Sächsisch klingt ausgesprochen gut. Der Dialekt ist dialektisch. Er ist die Redekunst der feinen Gegensätze.

Beim Sprechen handelt es sich unter anderen um elementare logopädische Laute, um Wörter, die aus der Empfindung heraus kommen. Mit ausgesprochen feinen Emotions-Vokabeln wird die Welt, die schon wieder aus den Fugen ist, beschrieben. So hört es sich auch beim diesjährigen sächsischen Wort des Jahres an. Die sieben Buchstaben fühlen, das irgendetwas komisch läuft. Der Sächselnde fragt aber nicht wie im Deutschen üblich geradeaus: »Wo soll das alles hinführen?« Nein, der Sachse, es kann
auch eine Sächsin sein, fragt bescheiden: »Se wärn endschuldschn, abr in dä rischdsche Richdung gehd das hier wo ni?«

Eigentlich leben wir heute ja in einer sehr gefühligen Zeit. Es gilt vor allem das empfundene Wort. Da passt sich das Sächsische an. Es hat sich ja der Geschichte schon oft angepasst und manchmal auch die Geschichte dem Sächsischen. Das nennt sich, positiv gesagt, dialektischer Saxismus. Man höre und staune, wie gefühlig die Sprache sein kann: ä, äscha, Aad, äbsch, Asch, baff, babbsch, barbsch, buhbsch, dorr, droff, Draasch, escha, euja, fabsch, fackn, gägsch, Gnaadsch, hä, ham, iwou, labbsch, morr, nee, nu, nor, ni, ooch, off, radzn, ullgsch oder Zoff.

Das sind Laute einer urigen Gesellschaft, die bei der kleinsten Kleinigkeit in Verzückung gerät oder grandsch wird. Also etwas schräg. Das ist so eine Art Wotan-Winnetou-Zarathustra-Gefühl. Die Mundart geht gern bequem den Weg des geringsten Widerstandes. Der Sachse kann, wenn er will, Vokale notfalls zu klarer Gestalt zwingen, über die harten Konsonanten jedoch hat er keine Macht. Es gibt beim B, mit dem auch das sächsische Wort des Jahres anfängt, nur das Birnboom-B und das Babblboom-B. Sächsisch ist nachgiebig, die Sprache gibt nach. Wie der Klügere. Der gibt übrigens so lange nach, bis er der Dumme ist. Merkwürdig.

Schlussbild der Präsentation im Boulevard-Theater, Foto: Dr. Peter Ufer

Der Dialekt lässt sich – ganz ähnlich wie das sächsische Völkchen – nur schwer regeln, insbesondere maßregeln. Das zeigt sich schon in der Grammatik. Wie zum Beispiel in diesem Fall. Hochdeutsch heißt es: Meines Bruders Tätowierung. Sächsisch: Meim Brudr sei Dadu. Da hören wir eine Art Verbalcode zur innersächsischen Verständigung. Nicht
jeder muss das verstehen, es reicht wenn wir uns verstehen. Es muss uns kein anderer behumsen, verschaukeln können wir uns auch selbst.

Sächsisch geht übrigens mit den Ressourcen dieser Welt sehr sparsam um. Die Mundart ist klimaneutral. Sie spart sich einfach überflüssige Äußerungen. Der Deutsche sagt: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Der Sachse sagt: Weeßschni. Der Deutsche sagt: Haben wir, können wir, glauben wir. Der Sachse sagt: Habsch, gannsch, gloobsch. Deutsch: Das glaube ich auch. Sächsisch: Gloobscho. Wobei heutzutage die Glaubensfrage vom Sachsen meist anders beantwortet wird, nämlich mit: Ni zu gloobn! Kurz und knapp wird gesagt, was gesagt werden muss. Denn so viel ist beunruhigend.

Auch der sächsische Humor ist extrem nachhaltig, was ja heute als Qualitätssiegel gilt. Am besten funktionieren alte Witze, die immer wieder recycelt werden. Zum Beispiel der hier: Fragt der eine Sachse am Eingang eines Mietshauses einen anderen Sachsen: »Se wärn endschuldschn, wohnt hier in dem Haus ä gewisser Vochl? Ja, sagt der andere, in der dritten Etage, Rabe heesd dor.«

Da fällt mir Werner Finck ein. Der Görlitzer Kabarettist hat in den 1930er Jahren einen Satz gesagt, den ich ebenfalls gern recycele: »Dort wo der Spaß aufhört, fängt der Humor an.« Humor ist ein Überlebensmittel und heute oft Mangelware, so wie Hustensaft für Kinder. Aber wie sagte Finck gleichfalls einmal: »In unserem Lande ist nichts knapp, die Leute stellen sich nur immer so an.« Oder sie kleben sich an. Wie groß muss die Verzweiflung sein, um sich Büroleim an die Hand zu schmieren, weil demnächst die Welt untergeht, es aber gleichzeitig Leute gibt, die meinen, die Welt sei eigentlich eine Scheibe. Werner Finck sagte schon früher dazu: Auch die Bretter vorm Kopf, können die Welt bedeuten. Das ist alles in allem sehr bedenklich.

Doch manchmal gönnt sich sogar der Sachse etwas ganz Außergewöhnliches. Idealerweise ist es Bio, was angeblich neu sein soll. Dabei hatte wir doch früher schon Bio-Lehrer. Aber das nur nebenbei. Selbst bei der Bestellung einer veganen Weines kommt es auf die Aussprache an. Noch etwas: Sächsisch reduziert seit Urzeiten den CO-2-Ausstoß. Denn oft ist nur ein Wort nötig ist, um viel zu sagen. Eine Fliesche zum Beispiel ist eine Fliege, also die, die ein paar Tage lebt, eine Fliege, also die, die man um den Hals trägt, Pflüge, also die, die ein Feld umgaben, Flüge, also die, die von einem Flughafen aus starten, oder Flüche, also die, die man ausstoßen kann, ich mach ne Fliege – ich geh weg. Und während in ganz Deutschland das Wort vermehren bedeutet, dass etwas mehr wird, wird es im Sächsischen beim Vermehren weniger. Da ist etwas in die Rabusche
gekommen.

So schön klingt der sächsische Wortschatz und deutet gern an. All das, was so bemerkenswert, sonderbar, auffällig, eigentümlich, wunderlich, erstaunlich, besorgniserregend, beunruhigend, bedenklich, schräg, komisch, merkwürdig ist, all das fast eine Sachsen-Vokabel zusammen. Das sächsische Wort des Jahres 2023 ist: budzsch