Wörter des Jahres

Sächsisches Wort des Jahres 2022

Wort des Jahres 2022

Därre


Tom Pauls und Peter Ufer Foto: Johannes Dose
Tom Pauls und Peter Ufer Foto: Johannes Dose

Das »Sächsische Wort des Jahres 2022« –
Eine lange Därre wird kommen

Das Sächsische Wort des Jahres 2022 bezeichnet den Zustand der Welt. Die Jury wählte aus über tausend Wortvorschlägen eine vielsagende Vokabel aus.

Das sächsische Wort des Jahres 2022 klingt ausgesprochen gut. Es ist eine Vokabel biblischen Ausmaßes. Jedenfalls meint das die Jury, zu der Schauspieler Tom Pauls, MDR-Moderator Andreas Berger sowie der ehemalige Chef der Leipziger Lachmesse Frank Berger gehören. Sie wählten in diesem Jahr aus über 1.000 Vorschläge aus, die bei der Ilse-Bähnert-Stiftung sowie in den Redaktionen der Sächsischen Zeitung und von MDR-Sachsen ankamen.

Der Sieger-Begriff beschreibt die Gegenwart, die Zukunft, die Folgen des Klimawandels, den politischen Waschlappen-Zustand und das persönliche Befinden am heimischen Krisenherd. Aber das ist längst nicht alles. Die fünf Buchstaben kennzeichnen zusätzlich eine spezielle Gewichtsklasse von Personen aller Geschlechter, Unfruchtbarkeit und einen nicht zu leicht zu nehmenden Krankheitsverlauf. Das Wort kann, wenn man(n) will, sogar ein Kompliment sein, wiewohl Komplimente heutzutage auch gern missverstanden werden. Der Terminus beschreibt außerdem abgehängte Dörfer, technische Geräte sowie lang lagerbares Obst und Fleisch. 

Dieser Ausdruck ist vielfach einsetzbar und betrachtet jedes, jeden und jede aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die sächsische Sprache ist ja schon immer darauf bedacht, mit einem Wort viel zu sagen ohne viel babeln zu müssen. Das kommt zum einen der Maulfaulheit entgegen, spart aber vor allem Energie und reduziert den CO2-Ausstoß aus dem Mundwerk. Sächsisch ist damit sehr ökologisch und zeitgemäß. 

Der in diesem Jahr ausgezeichnete Saxismus spricht gleich mehrfach aus, warum die Welt im Innersten zusammenfällt. Dieses eine Wort fasst zusammen, warum zum Beispiel im vergangenen Sommer in Spanien die Eiswürfel knapp wurden oder in der Oder massenhaft Fische starben. In Berlin soll die Spree sogar rückwärts geflossen sein. Da denkt der Sachse, wenn ich ein Fluss wäre, würde ich kurz vor Berlin auch umkehren.

Schon vor Jahren reimte er: »Warum ist denn die Elbe/bei Dresden so gelbe?/Se schämt sich ze Schande,/Sie muß aus’m Lande,/aus’m Lande so scheene,/so niedlich und kleene;/denn gleich hinter Meißen, pfui Spinne, kommt Preißen!« 

Kurzum: Das Wort des Jahres 2022 heißt Därre. Eine Übersetzung ins Deutsche als »die Dürre« ist allerdings viel zu kurz gedacht. Därre bezeichnet ganz geschlechtsneutral Trockenheit und Kälte. Därre kennzeichnet auch einfach die Krise und eine dünne, schlanke Frau, wobei bitte keinesfalls ein Zusammenhang zwischen beiden hergestellt werden soll. Därre kann zudem als Hinweis auf den Körper benutzt werden. Dann kann es heißen: Du bist so därre, dass einer auf deinen Rippen Xylophon spielen kann. Därrwännsdsch oder dürrwänstig beschreibt eine oder einen mageren, hageren Menschen. Der Därrländer oder Dürrlender, nicht zu verwechseln mit Irrländer, ist eine dünne, lange Person. Ein mögliches Krankheitsbild ist dä Därre, übersetzt mit Schwindsucht oder Bulimie. Es kann auch etwas vordärrd, also verdorrt sein. Bekanntlich gibt es Därrfleesch, Därrobsd und Därraudomaden. Nein, das sind keine dürren Maden im Fleisch, sondern Automaten zum Trocknen von allem, was sich so ansammelt in der Küche. Wer auf Sachsens Landkarte sieht, der findet mehrere därre Orte, die auch mit ö oder ü geschrieben sind: Dörrröhrdorf, Dürrweitzschen oder Dürrhennersdorf, ein Ort mit dünnen Hennen. Die Partnerstadt im Westen heißt vermutlich Fetthuhnstadt. Aber bleiben wir lieber in Sachsen, denn hier sprechen die Menschen mit einem Wort aus, was alle denken und schon in der Bibel stand: Eine lange Därre wird kommen. Doch wir wissen: Meistens kommt es anders, vor allem, als man denkt.

Peter Ufer
SZ-Autor Peter Ufer ist Mitglied der Jury zur Auswahl des Sächsischen Wortes.


Bericht und Videos beim MDR